Duell der Klassiker

Vergleichstest: Das Duell der Klassiker: Modellpflege wird groß geschrieben bei den beiden Japanern. Kaum ein ATV ist länger auf dem Markt als die jeweiligen Flaggschiffe von Yamaha und Kawasaki. Was können die Beiden und sind sie immer noch konkurrenzfähig auf dem von Tausendern dominierten Angebot der Mitbewerber?

Gegen diese beiden ATVs scheint kein Kraut gewachsen. Der Grizzly von Yamaha und die BruteForce von Kawasaki gehören zu den beliebtesten und zugleich bekanntesten Fahrzeugen der Szene. Selbst wenn sich ein fernöstlicher Mitbewerber als Marktführer bezeichnen kann und die nordamerikanische Konkurrenz aus USA und Kanada mit Hubräumen um einen Liter dagegen halten. Es bleibt dabei, dass Yamaha nicht über die 700er-Marke gehen will und Kawa mit der 750er das Ende seines Angebots markiert. Offensichtlich müssen die beiden Hersteller sich nicht um ihre Flaggschiffe sorgen. Denn sie sind ausgereift, zuverlässig und robust. In die Jahre gekommene Exemplare dienen oftmals immer noch treu ihren Besitzern, die die klassischen Tugenden eines echten ATVs zu schätzen und einzusetzen wissen.

Yamaha Grizzly und Kawasaki BruteForce im Vergleich
Zwei, die wir schon lange kennen: Yamaha Grizzly und Kawasaki BruteForce

Es war 1997 als Yamaha mit dem ersten Grizzly 600 in eine bis dato für ATVs nicht vorstellbare Hubraum-Dimension vorstieß. Alle zuvor vermarkteten Fahrzeuge begnügten sich mit kleineren Triebwerken bis maximal 500ccm. Was brauchte man mehr? In manchem Test fragten auch wir uns schon, ob es immer tausend Kubik sein müssen. Während Yamaha seinen Grizzly in den vergangenen Jahren immer mal etwas aufgehübscht hat und stetig im Programm hatte, war bei Kawasaki Ruhe eingekehrt und die ATV-Modelle in Europa nicht mehr erhältlich. Dies hat sich in diesem Jahr geändert und die Kawasaki KVF750 steht offiziell wieder bei den Händlern zum Verkauf.

Die Motoren

Dessen flüssigkeitsgekühlter V-Zweizylinder, ist die logische Weiterentwicklung der bekannten 650er- bzw. 700er-Motoren aus den beiden erfolgreichen Vorgängern der KVF-Serie. Waren die schon bekannt für ihre urgewaltige, sofort zur Verfügung stehende Motorkraft, so übertraf sie der neue 749er Motor, zwar nicht um Längen, aber doch spürbar. 50 PS mit 59 Nm schöpft die doppelherzige Kraftmaschine aus den Verbrennungsräumen. Den Eintopf des Grizzly nahmen sich die Yamaha-Ingenieure 2020 nochmals vor. Nunmehr ist der Grizzly 700 EPS SE mit einem MK II 4-Ventil-SOHC-Motor mit 686 ccm ausgestattet, den man als die 2. Generation bezeichnet. Der Einzylinder verfügt über eine verbesserte EFI – elektronische Einspritzanlage – und eine überarbeitete ECU – elektronische Motorsteuerung, was zu einem geringen Kraftstoffverbrauch, einem hohen Drehmoment und einer gleichmäßigen Motorleistung führt.

Drehmoment ist das Stichwort

Hatte man bisher manches Mal das Gefühl, der Motor eines Grizzly 700 dreht unter Volllast „im roten Bereich“ und vermittelt eine Menge Vibration ins Chassis, ist das bei dem aktuellen Triebwerk verschwunden. Laufruhig, aber dennoch spontan in der Gasannahme, verrichtet es seinen Dienst aus dem tiefsten Drehzahlkeller bis in die höheren Sphären. Satter Durchzug ist gewährleistet und bestätigt die Yamaha-Ingenieure in ihrem Festhalten am Einzylinder. Der Zweizylinder von Kawasaki geht ebenso aus dem Drehzahlkeller ans Werk, jedoch noch eine ganze Schippe kräftiger als der Mitbewerber. Das Ansprechverhalten ist selbst bei kleinster Bewegung des Daumens schlichtweg brachial.

Ungeübte Fahrer sollten langsam an die Kawa heran gehen, denn einen plötzlichen Gasstoß quittiert der V2-Motor mit einem Hochstart. Kennt man diesen aber, so lässt sich der Bolide gut händeln, wenngleich der Schwerpunkt gefühlt etwas hoch anliegt. Ergonomisch besser bietet der Bär viel Bewegungsfreiheit und ein sicheres Handling. Präzise und willig folgt das Fahrzeug den Befehlen seines Lenkers. Wenn dieser dem ATV die Sporen gibt, bleibt es beherrschbar, das Fahrwerk erstaunlich ruhig für ein Serien-Setup. Anders als bei vielen Motorrädern gleicher Motormarge, sind die zwei Kolben des Kawa-Twins in einem Winkel von 90 Grad zueinander gestellt. Geringere Vibration ist das Ergebnis. Ein nettes Sicherheitsschmankerl ist eingebaut: bei einer Schräglage von mehr als 65 Grad legt ein Winkelsensor automatisch die Benzinpumpe und die Zündung lahm um Motorschäden vorzubeugen.

Neben der Tatsache das die KVF-Modelle die ersten mit zwei Zylindern bestückten ATVs der Branche waren, stellten sie für Kawasaki auch gleichzeitig die ersten mit zuschaltbaren 4×4-Antrieb und einer manuell zu bedienenden Differentialsperre vorne mit begrenztem Schlupf (LSD) dar. Mit leichtem Zug an einem gelben Hebel vorne über der Feststellbremse wird sie aktiviert und beim Loslassen desselben deaktiviert. Ein wenig gewöhnungsbedürftig ist das bei den ersten Malen schon. Ist der Überraschungseffekt verflogen, erweist sich das ganze als einfach und wirkungsvoll zu bedienen. Das gilt für den Grizzly ähnlich: Allrad, Untersetzung und die Differentialsperre kommen hier auf Knopfdruck unauffällig, aber sehr zuverlässig zur Wirkung. Kinderkrankheiten kennt das Modell nach anderthalb Dekaden einfach nicht mehr. Davon bleibt auch der Kawasaki-Fahrer verschont. Die beiden „Dinger“ laufen einfach.

Vergleichstest – ein Duell der Klassiker

Die Ölbad-Scheibenbremse hinten an der BruteForce bleibt dank ihrer völligen Kapselung lebensverlängernd im Einsatz. Öl deshalb, um Abriebpartikel der Bremsklötze zu entsorgen und eine bessere Wärmeableitung zu schaffen. Das „Eisen“ packt in brenn(m)slichen Situationen in Kombination mit den vorderen zwei Scheibenbremsen ordentlich zu. Dagegen stoppen je zwei Hydraulische Scheibenbremsen vorne und hinten den japanischen Bären ebenso sicher aus jeder Lage. Die Motorbremse setzt bei ihm besser ein, als beim Mitbewerber, der bergab auch etwas vehementer schiebt.

Unterstützend für Ausfahrten in unwegsame Gegenden wirken die serienmäßigen Maxxis 26-Zoll-Reifen in der Dimension 26x8x12 vorn und 26x10x12 hinten auf Alufelgen. ‘Zilla heißen die grob besohlten Pellen, die insgesamt aber eine solide Aufstandsfläche bieten. Sie greifen bestens auf losem Untergrund. Die serienmäßigen Reifen – Duro – der BruteForce packen nicht ganz so gut und stoßen ausgerechnet im Gelände bald an ihre Grenzen, besonders wenn es feucht ist. Auf trockenem Untergrund ist das Gripniveau ordentlich. Auf der Straße ist allerdings relativ schnell Schluss wenn man in zügiger Gangart um die Kurven fahren möchte.

Die Stoßdämpfer der Kawasaki verrichten ihre Tätigkeit ordentlich sind aber eher weich abgestimmt was uns im Gelände gut gefällt. Deren Federweg misst vorne mit 169 Millimeter und hinten 190, was einen guten Wert darstellt. Im Gelände meistert die KVF steile Anstiege spielend. Wenn benötigt lässt sich der L Gang zur Hilfe nehmen und das ATV klettert schier überall durch. Der Wahlhebel lässt sich sehr gut bedienen und die Gänge spielend leicht einlegen – was heute bei vielen ATV´s auch China immer noch nicht klappt. Die schiere Dimension der Pellen hilft im groben Geläuf dem Grizzly enorm. Durchdrehende Räder sind kaum zu provozieren, da die ‘Zillas offenbar stets Gripp finden.

Auf der Straße

Weniger erfreulich ist der Einsatz auf der Straße, wo man stets die Abrollgeräusche der Reifen und ein leicht schwammiges Fahrgefühl bemerkt. Beiden ATVs zu Eigen ist eine elektronische Lenkunterstützung. Sie reduziert in beiden Fällen die körperliche Betätigung des Fahrers – insbesondere in unebenem Geläuf – erheblich und vermittelt präzises Feedback des Untergrundes für ein angenehmes Lenkgefühl. Ein solches System fungiert sowohl als Lenkhilfe, wie auch als eine Art Lenkungsdämpfer, wenn die Fronträder auf ein Hindernis treffen. Der unvermeidliche Schlag in den Lenker wird größtenteils absorbiert. Insgesamt sorgt das so auch für ein ermüdungsfreies, konditionsschonendes Fahren.

Unterwegs zum Testergebnis

Was den beiden Routiniers auf einer Tour sehr zu Pass kommt. Auf unserer Test-Runde begegneten uns Gräben ebenso wie steile Auf- und Abfahrten oder umgestürzte Bäume. Beherztes Gasgeben entlastet die Frontpartie, so dass das Fahrwerk seinen Job machen kann. Bei der Kawa mit ganz wenig Gasdruck, bei der Yamaha mit etwas Körpereinsatz, sprich Gesäß nach hinten und los! Wichtige Utensilien verstaut man wasserdicht in den üppigen Staufächern des Bären. Ergonomisch bietet der viel Bewegungsfreiheit und ein sicheres Handling. Präzise und willig folgt das Fahrzeug den Befehlen seines Lenkers.

Beim cruisen auf und abseits der Straße macht die KVF750 einfach nur Spaß und wenn nötig sind immer genügend Leistungsreserven vorhanden. Die 749ccm müssen sich nicht vor leistungsstärkeren ATVs verstecken. Einem chinesischen Tausender bieten wir locker Paroli. Wir sind zudem der Meinung das die Kawasaki eine gute Basis für ein Renn ATV abgeben würde. Nur zu gerne möchten wir es einmal bei einem Cross-Country- oder Endurorennen einsetzen. Die Möglichkeiten Gepäck und Utensilien zu verstauen bzw. mitzuführen, sind bei der BruteForce schon beinahe unübersichtlich. Es gibt einfach viele.

Fazit im Duell der Klassiker

Beide ATV´s können voll überzeugen. Müssten wir einen Sieger küren – wir könnten und wollten es nicht. Für uns ein Unentschieden. Unsere Testfahrer saßen lange zusammen und diskutierten, wogen Pro und Kontra ab, aber einigen konnten sie sich nicht. Die sportlich orientierten Fahrer sahen die Kawasaki vorne, die anderen Fahrer die Yamaha. Der sanftere Motor, die bessere Dosierbarkeit am Gas, die griffigeren Reifen und die seriemäßige Seilwinde machen den Grizzly zu einem echten Arbeitstier.

Die Kawasaki kann mit den besseren Bedienelementen sowie dem kraftvolleren Motor punkten. Die Gene dieses Japaners liegen klar in der Sportlichkeit und der Freizeitnutzung des Fahrzeuges. Bleibt zu hoffen, dass man bei Kawasaki am Ball bleibt und vielleicht in Zukunft ein Update präsentiert. Auch wenn es beide Modelle nun schon sehr lange auf dem Markt gibt, gehören beide definitiv nicht zum alten Eisen und sind mit leichten Abstrichen am Zahn der Zeit. Die vielzitierte „Eierlegende Wollmilchsau“ wäre demnach das Chassis der Yamaha mit dem Motor der Kawasaki.

  • Text & Fotos: Erik Pohl / Ralf Wilke
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